Angriff auf die freie und selbstbestimmte Fankultur

Im Rahmen des Gipfels von Politik und Verbänden zur Stadionsicherheit wurden neue Repressionsmaßnahmen gegen Fußballfans angekündigt. Die getroffenen Aussagen der Sport- und Innenminister verdeutlichen die Zielvorstellungen: Die Einschränkung von Fanrechten und Beseitigung der Fankultur in der Form, wie wir sie heute kennen.

„Wir blicken weiterhin fassungslos auf die Aussagen vom vergangenen Freitag. Auf offener Bühne fand ein Überbietungswettbewerb mit Falschbehauptungen und Unwahrheiten statt. Die Zielsetzung einer völlig neuen Fanstruktur in den Kurven wurde unmissverständlich vorgetragen und von allen Beteiligten unterstützt. Kein Wort gab es hingegen zu den gewalttätigen Polizeieinsätzen der letzten zwölf Monate. Kein Wort zu den hunderten verletzten Fans durch Polizeigewalt. Selbst die polizeieigenen Statistiken rechtfertigen nicht ansatzweise das aktuelle Vorhaben. Die Art und Weise des bisherigen Prozesses und die vorgegebene Richtung sind für uns völlig inakzeptabel und erfordern eine deutliche Kehrtwende. Für uns steht fest, dass es unter den aktuellen Voraussetzungen keinerlei Zusammenarbeit mit der Politik und den Verbänden weder heute noch morgen geben kann. Wenn Fakten geleugnet und völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen unwidersprochen in den Raum gestellt werden, ist ein Punkt erreicht, an dem selbst an einen ergebnisoffenen Dialog nicht zu denken ist“, so Linda Röttig, Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen e. V.

Zur Erreichung der langfristigen Zielsetzung von Politik und Verbänden wurde am Freitag verkündet, dass in einem ersten Schritt die Vergabe von Stadionverboten in den ersten beiden Ligen aus der Hoheit der Vereine in die Hände einer neuen Kommission überführt werden soll. Die bisher sinnvolle Praxis der Einzelfallbetrachtung durch die Vereine ist damit Geschichte. Ebenfalls sollen zukünftig Stadionverbote ausnahmslos sofort ausgesprochen werden, sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist.

„Da die Verbandsspitzen diesen direkten Angriff auf die Fankultur unterstützen, müssen nun die Vereine eindeutig Position beziehen. Entweder sie stellen sich auf die Seite der Fans oder sie unterstützen einen populistischen Kurs, der einzig und allein die Konfrontation mit den eigenen Anhängern im Stadion zum Ziel hat. Die kommenden Wochen werden zeigen, wer für Fanrechte und den Erhalt der Fankultur eintritt und wer den Plan ihrer Beseitigung unterstützt. Wir jedenfalls werden uns mit aller Macht gegen den eingeschlagenen Kurs zur Wehr setzen“, stellt Linda Röttig abschließend klar.

Fanhilfen appellieren an Bundesinnenministerin Faeser – Fans sind keine Sicherheitsgefahr

Der Dachverband der Fanhilfen hat sich in einem dringlichen Schreiben an Bundesinnenministerin Nancy Faeser gewendet. Im Vorfeld des angekündigten Sicherheitsgipfels der Bundesinnenministerin mit den Innenministern der Bundesländer sowie DFB und DFL am 18. Oktober fordern die Fanhilfen eine Rücknahme von Repressionen gegen Fußballfans sowie eine klare Absage an populistische Forderungen wie lebenslangen Stadionverboten, Zuschauerausschlüssen, Schnellgerichten in den Stadien oder die Weitergabe von Fotos und Videos durch Ermittlungsbehörden an die Vereine.

Bundesverfassungsgericht erklärt Rechtsgrundlagen für Datei „Gewalttäter Sport“ für verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat heute wesentliche Vorschriften im BKA-Gesetz zur Sammlung von Personendaten im polizeilichen Informationsverbund für verfassungswidrig erklärt. Auf diesen gesetzlichen Regelungen beruhen auch die sogenannten Verbunddateien wie die Datei „Gewalttäter Sport“. Diese Datenbanken liegen beim Bundeskriminalamt, Zugriff haben jedoch alle Polizeidienststellen von Bund und Ländern.

Die nun für verfassungswidrig erklärten Regelungen erlaubten es der Polizei, sensible personenbezogene Daten bereits aufgrund vager Anhaltspunkte in weitem Umfang zu bevorraten und ohne weitere sachliche und zeitliche Grenzen zu nutzen. Fußballfans können bisher schon für viele Jahre in der Datei „Gewalttäter Sport“ landen, nur weil ihnen beispielweise irgendein Bagatelldelikt vorgeworfen wird, selbst wenn das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurde. Aufgrund der so bevorrateten Daten drohen ihnen dennoch polizeiliche Anschlussmaßnahmen wie unangenehme Befragungen, Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen oder gar Freiheitsentzug. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun aufgrund der von der Gesellschaft für Freiheitsrechte eingereichten Verfassungsbeschwerde unter anderem, dass es nicht ausreichen kann, Beschuldigter irgendeiner geringfügigen Straftat gewesen zu sein, um in Polizeidatenbanken wie der Datei „Gewalttäter Sport“ geführt zu werden. Es fehle an einer hinreichend normierten Speicherungsschwelle und den gebotenen Vorgaben zur Speicherdauer.

Eine der fünf Beschwerdeführerinnen ist Stephanie Dilba, Mitglied im Ehrenrat von 1860 München und seit langem in verschiedenen Faninitiativen aktiv. Sie wurde lange Zeit von der bayerischen Polizei in einer Datenbank gespeichert, ohne sich jemals strafbar gemacht zu haben, und zeigt sich nun erleichtert: „Fußballfans wie ich werden nach diesem wichtigen Urteil hoffentlich nicht mehr so leicht in einer Polizeidatenbank landen. Das hat mich belastet und stigmatisiert – bei jeder Polizeikontrolle hatte ich Herzklopfen.“

Für Wilko Zicht aus dem Vorstand der Grün-Weißen Hilfe Bremen steht dieser Fall sinnbildlich für das, was mit der Datei „Gewalttäter Sport“ falsch läuft: „Aus fragwürdigen Anlässen werden Fans als angebliche Gewalttäter abgespeichert und müssen dann schwerwiegende Konsequenzen fürchten. Dabei wissen viele Fans nicht einmal, dass sie rechtswidrig in der BKA-Datei gespeichert sind, und können sich daher auch nicht dagegen wehren. Daher muss die Polizei endlich bundesweit verpflichtet werden, die betroffenen Personen zu informieren, wie es in Bremen bereits der Fall ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss außerdem dazu führen, dass der Polizei für die Speicherung und die Nutzung von Informationen klare gesetzliche Grenzen gezogen werden, die dann auch tatsächlich eingehalten werden. Dies gilt umso mehr, als die Polizei sich derzeit darauf vorbereitet, Daten künftig nicht mehr in getrennten Dateien zu speichern, sondern in einer großen gemeinsamen Datenplattform von Bund und Ländern zusammenzuführen. Vor diesem Hintergrund ist auch die im aktuellen Sicherheitspaket der Bundesregierung vorgesehene automatisierte Analyse des polizeilichen Datenbestandes mit Hilfe von Data Mining und KI-gestützten Auswertungsmethoden erst recht kritisch zu sehen.“

Linda Röttig, Vorstand im Dachverband der Fanhilfen, erinnert daran, dass die Bundesregierung schon im Koalitionsvertrag versprochen hatte, die Datei „Gewalttäter Sport“ zu reformieren: „Aufgrund des heutigen Urteils muss die Bundesregierung nun endlich ihr Versprechen einlösen. Die BKA-Datenbanken sind unrechtmäßig und müssen sofort eingestellt werden. Das haben wir als Fanhilfen schon lange gefordert. Diese umfangreiche Datensammlung ist nicht datenschutzkonform, mit dem heutigen Urteil erwiesen rechtswidrig und dringt tief in die Privatsphäre von Fußballfans ein. Umfang und Löschfristen der Daten sind völlig unklar. Die Praxis der massenweisen Datensammlung muss sofort gestoppt werden.”

Ein weiterer Beschwerdeführer ist Werder-Fan und Mitglied der Grün-Weiße Hilfe in Bremen. Er war im Jahr 2010 als Tatverdächtiger einer Sachbeschädigung in der Datei „Gewalttäter Sport“ gelandet, nachdem jemand aus einem Werder-Fanbus bei einem Zwischenhalt in Göttingen mit einem Edding ein Graffiti hinterlassen haben soll. Die niedersächsische Polizei stoppte die Busse, nahm die Personalien aller mitfahrenden Werder-Fans auf und speicherte sie als Gewalttäter in der BKA-Datei ab. Für den Beschwerdeführer hatte dies zur Konsequenz, dass ihm einige Monate auf dem Weg zum Champions-League-Spiel in Enschede von der Bundespolizei die Ausreise untersagt wurde. Er klagte hiergegen beim Verwaltungsrecht Köln, das ihm zwei Jahre später Recht gab und die Ausreiseuntersagung für rechtswidrig erklärte.

Joachim Herrmann tritt Grundrechte mit Füßen – Fußballfans sind keine Staatsgefahr

Der bayerische Innenminister hat sich heute herablassend über Fußballfans geäußert. Der Dachverband der Fanhilfen widerspricht den Aussagen von Joachim Herrmann deutlich und fordert eine sachliche Debatte anhand polizeieigener Statistiken.

Dazu betont Linda Röttig, Vorstandsmitglied im Dachverband der Fanhilfen e. V.: „Einmal mehr werden Horrorgeschichten über das Stadionerlebnis verbreitet, die nichts mit der Realität zu tun haben. Jedes Wochenende strömen hunderttausende Fans im ganzen Land in die Stadien und zeigen damit eindeutig, dass diese sichere Orte sind. Die aufgestellten Forderungen von Joachim Herrmann sind an Populismus nicht zu überbieten und ein direkter Angriff auf die freie und selbst bestimmte Fankultur in den Kurven. Der bayerische Innenminister trötet damit in das Horn des Populismus, anstatt sich der polizeieigenen Statistiken zu bedienen.“

Jedes Jahr veröffentlicht die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei bundesweite Zahlen zu Verletzten im Rahmen von Fußballspielen. Aus dem sogenannten ZIS-Bericht geht deutlich hervor, dass Stadien sehr sicher sind. Angesichts von fast 24 Millionen Besucherinnen und Besuchern in den deutschen Stadien von der 1. Bundesliga, 2. Bundesliga, 3. Liga bis hin zum DFB-Pokal, sind die Zahlen von insg. 1.176 Verletzten in der Saison 2022/23 marginal. Prozentual liegt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Fußballspiel verletzt zu werden, bei 0,005 Prozent. Miteingerechnet sind hier alle Verletzungen aufgrund von Eigenverschulden und die Verletzten, die durch den massiven Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei verzeichnet werden.

Linda Röttig sagt dazu: „Der Dachverband der Fanhilfen fordert deshalb einen nüchternen Blick auf die Zahlen und eine sachliche Debatte. Fußballfans sind keine Gewalttäter oder Staatsgefahr. Fans wollen in erster Linie ihren Verein unterstützen und üben keine organisierte Kriminalität aus. Die massive Präsenz der Polizei in und an den Stadien verbrennt Massen an Steuergeldern. Hier muss die Polizei endlich materiell, wie auch personell abrüsten. Konflikte lassen sich aber nicht durch noch mehr Überwachung lösen, sondern durch Vermittlung und Moderation. Wir stemmen uns gegen personalisierte Tickets, Kollektivstrafen, Schnellgerichte in den Stadien sowie die Übernahme von Polizeikosten durch die Vereine. Es muss Schluss sein mit der Gängelung von Fußballfans im Land, die für laute und kreative Fankurven einstehen.“

Bundesweites Treffen der Fanhilfen – Fanhilfen fordern Abrüstung der Polizei

Der Dachverband der Fanhilfen hat sich heute zu seinem jährlichen bundesweiten Treffen in Münster zusammengefunden. Die Fanhilfen fordern eine Abrüstung der Polizei und sprechen sich für ein Schusswaffen- und Pfeffersprayverbot in den Stadien aus. Auch die bundesweite Einführung von Tasern als Ausdruck einer voranschreitenden Militarisierung kritisieren die Fanhilfen in ihrem Abschlusspapier des Jahrestreffens deutlich. Der Dachverband besteht aktuell aus 26 Fanhilfen aus dem gesamten Bundesgebiet und ist damit eine der größten Fanorganisationen in Deutschland.

Linda Röttig, Vorstandsmitglied im Dachverband der Fanhilfen e. V., betont: “Wir hatten heute bei unserer jährlichen Versammlung der Fanhilfen einen ergiebigen Austausch. Wir blicken allerdings zurückhaltend auf den Saisonstart in den Ligen und befürchten eine anhaltende Repressionswelle gegen Fußballfans. Es muss ein grundlegendes Umdenken innerhalb der Polizei stattfinden, sodass schon in der Ausbildung neuer Polizisten klar ist, dass Fußballfans keine Staatsfeinde sind. Die polizeieigenen Statistiken zu Straftaten beim Fußball zeigen seit Jahren, dass die Anzahl der Straftaten im Promillebereich liegt. Wir fordern mehr Selbstbestimmung und Bewegungsfreiheit innerhalb der Fankurven und eine Abrüstung der Polizei. Die aktuelle Debatte zur flächendeckende Einführung von Tasern innerhalb der Polizei ist absurd und nicht zielführend. Taser sorgen nicht für mehr Sicherheit, ganz im Gegenteil. Sie sind kreuzgefährlich und es sind bereits etliche Menschen durch Taser getötet wurden.”

Die zentralen Forderungen des Dachverbands der Fanhilfen:

Schusswaffen-Verzicht

Fußballspiele sind sichere Veranstaltungen. Dies zeigen alle Statistiken. Dennoch führen so gut wie alle Polizeieinheiten Schusswaffen mit sich. Das offene Tragen von Schusswaffen trägt definitiv nicht zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls bei. Welche erheblichen Konsequenzen deren Nutzung haben kann, zeigt sich sehr anschaulich bei der Schusswaffenabgabe im Rahmen des Spiels FC Augsburg gegen Borussia Mönchengladbach. Bekanntlich traf die Kugel einen Bus des Fanprojekts Mönchengladbach und traf glücklicherweise keine umstehenden Personen. Wir fordern daher einen Schusswaffenverzicht in den Stadien gegenüber Fußballfans. Schusswaffen haben bei Fußballspielen nichts verloren.

Polizei-Spezialeinheiten raus aus dem Fußball

Viele der Vorfälle in der vergangenen Spielzeit wurden maßgeblich durch Polizei-Spezialeinheiten herbeigeführt. Diese hochgerüsteten und maximal konfrontativ auftretenden Einheiten sollen für besondere Gefahrensituationen vorgesehen sein und sind somit im Umfeld eines Fußballspiels völlig fehl am Platz. Daher fordern wir einen Ausschluss von BFE, USK & Co. im Rahmen der Sicherheitsplanungen von Fußballspielen.

Pfefferspray-Verbot

Es hat sich in der vergangenen Spielzeit deutlich gezeigt, dass der Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei in einem vollbesetzen Fußballstadion zu einer erheblichen Anzahl an Verletzen führt. Dieser Kampfstoff kann nicht gezielt gegen einzelne Personen eingesetzt werden und seine Auswirkungen sind ebenfalls nicht planbar. Unter anderem aus diesen Gründen bleiben wir ganz klar dabei, dass Pfefferspray in Fußballstadien nichts zu suchen hat und fordern die Politik auf, den Einsatz durch die Polizei zu unterbinden.

Tasernutzung durch die Bundespolizei stoppen

Taser haben unplanbare Auswirkungen auf die Gesundheit. Die Bundesregierung will der Bundespolizei diesen Einsatz jedoch nun erlauben, trotz bereits bekannter Risiken. Der Einsatz von Tasern durch die Bundespolizei wäre ein weiterer Schritt einer gefährlichen Aufrüstungsentwicklung. Daher fordern wir die politisch Verantwortlichen dazu auf, diese Pläne zu stoppen.

Schwere Grundrechtseingriffe während der Euro 2024

Die Bundesregierung hat auf eine umfangreiche parlamentarische Anfrage zu Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der vergangenen EM geantwortet. Es wird deutlich, wie schwerwiegend die Eingriffe in die Grundrechte waren.

“Die umfassenden Grenzkontrollen wurden vor Turnierbeginn mehrfach sehr deutlich mit der Angst vor Fans begründet. Die nun vorliegenden Zahlen der Bundesregierung zeigen hingegen nachdrücklich, dass diese Maßnahme völlig übertrieben war. Bei über 1,6 Millionen kontrollierten Personen gab es gerade einmal in 0,005 Prozent der Fälle einen “Fan-Treffer”. Die mit den Grenzkontrollen unter anderem einhergehende massive Einschränkung der Reise- und Bewegungsfreiheit für alle Menschen ist wie von uns vorhergesagt nicht zu rechtfertigen. Die Angst vor Fans wurde ganz bewusst als Vorwand genutzt, um Grundrechtseinschränkungen durchzusetzen und die Öffentlichkeit somit angelogen. Hier braucht es dringend weitere Aufklärung, damit Fans zukünftig nicht erneut als Sündenböcke für solche realitätsfernen Maßnahmen herhalten müssen”, erklärt Linda Röttig Vorstandsmitglied im Dachverband der Fanhilfen e. V.

Der Dachverband der Fanhilfen hat bereits vor dem EM-Auftakt an Politik und Uefa appelliert, die wachsende Repression gegen Fußballfans zurückzufahren. Die Grenzkontrollen waren nicht die einzigen Eingriffe in die freiheitlichen Grundrechte von Fußballfans in ganz Europa, die sehr tiefgreifend waren. So gab es eine eigens entwickelte Polizei-KI, um durch flächendeckende Drohnenüberwachung und Handydaten das Verhalten  Fans in Echtzeit zu überwachen.

“Aus der Antwort der Bundesregierung wird deutlich, dass die von der Uefa bereitgestellte EM-App ohne staatliche Kontrolle entwickelt wurde. Dies lässt bei uns die Alarmglocken klingeln, wurden doch über Apps Live-Tracking-Daten von Fans direkt an die Polizei weitergegeben. Es muss nun weiter aufgeklärt werden, auf welcher Grundlage die Landespolizeien den Zugriff auf diese Daten erhalten haben und wer dafür verantwortlich ist, dass Datenschutzstandards für die Nutzerinnen und Nutzer außer Kraft gesetzt wurden”, so Linda Röttig abschließend.

Antwort der Bundesregierung (Bundestags-Drucksache 20/12576)

Bilanz der EM zeigt erhebliches Maß an Repression und Hysterie

Die Fußballeuropameisterschaft in Deutschland geht zu Ende und die Sicherheitsbehörden legen erste Zahlen zu den vergangenen Wochen vor. Deutlich zeigen sie, dass die Begründungen für die vermeintlich erforderlichen Maßnahmen wie zu erwarten nicht haltbar sind.

“Die vergangenen Wochen stellen klar, dass unter dem Vorwand angeblicher Gefahr durch Fußballfans eine massive Repressionsmaschinerie in Gang gesetzt wurde. Allein mit den umfassenden Grenzkontrollen wurde in erheblichem Maße nicht nur in die Bewegungsfreiheit eingegriffen, sondern auch der freie Grenzverkehr von Personen und Waren innerhalb der EU außer Kraft gesetzt. Dies sind gravierende Einschränkungen, die mit Blick auf die mittlerweile vorliegenden Zahlen durch die immer wieder vorgeschobenen Begründungen nicht zu rechtfertigen sind. Die von den Sicherheitsbehörden vor Turnierbeginn vielfach verbreitete Geschichte angeblicher Reisepläne sogenannter ‚Problemfans’ hat sich nun endgültig als Märchen herausgestellt. Dies zeigt auch, dass den Beteuerungen der Polizei im Zusammenhang mit der massiven Repressionswelle gegen Fußballfans in der vergangenen Saison kein Glaube geschenkt werden kann.”, erklärt Linda Röttig, Vorstandsmitglied beim Dachverband der Fanhilfen e. V.

Laut Zahlen des Bundesinnenministeriums (BMI) kam es zwischen 7. Juni und 27. Juni lediglich zu 86 Einreiseverweigerungen gegen Fans. Zu den genauen Hintergründen und auf welcher Erkenntnisgrundlage dies erfolgte, dazu schweigt das BMI. Ebenso bleibt unerwähnt, wie viele Personen in dem genannten Zeitraum insgesamt kontrolliert und somit in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wurden. Konkreter wird da die Bundespolizeidirektion Stuttgart, die im selben Zeitraum von insgesamt 39.788 kontrollierten Personen spricht. In diesem Rahmen wurde lediglich 12 Fans die Einreise verweigert. Das sind 0,03 Prozent!

“Wir erwarten eine Aufarbeitung dieser Sicherheitsmaßnahmen, die sich nicht mit der Auflistung von inhaltsleeren Zahlen erschöpfen kann. Vielmehr muss kritisch hinterfragt werden, was die teilweise erheblichen Einschränkungen der Grundrechte für die Sicherheit des Turniers gebracht haben. Und ebenso wichtig ist, ob diese Maßnahmen notwendig waren, um Konflikte von Fans zu verhindern. Bei Letzterem setzen wir mit Blick auf die vorliegenden Zahlen ein mehr als großes Fragezeichen.”, so Linda Röttig abschließend.

Live-Tracking von Fans bei der Europameisterschaft 2024 ist unhaltbar

Der Bayerische Rundfunk hat kürzlich über neue digitale Überwachungsmaßnahmen von Fans bei der EM 2024 berichtet. Dabei geht es um Echtzeit-Erfassung von Bewegungsdaten mithilfe einer App der Uefa, die die Daten offensichtlich direkt an die Polizei übermittelt. Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert dieses maßlose Vorgehen und hinterfragt die rechtliche Grundlage für die Observation in Echtzeit.

In dem Beitrag des Bayerischen Rundfunks, der bereits am 26.06. ausgestrahlt wurde, wird berichtet, dass über eine EM-App der Uefa alle Fans, die diese bspw. auch für die kostenfreie Nutzung des ÖPNV nutzen, automatisch ihre Bewegungsdaten übermitteln. Diese Daten laufen, so wie im Beitrag beschrieben, in Echtzeit in die Einsatzzentralen der Polizei – hier bspw. der Polizei in München, was datenschutzrechtlich höchst bedenklich ist.

Selbst wenn Fans sich dieser Datenübermittlung über entsprechende Einstellungen entziehen können, ist allein die Überlegung, Menschen über ein Hintertürchen auf Schritt und Tritt zu überwachen, zu kritisieren. Es darf bezweifelt werden, dass jede betroffene Person sich im Klaren darüber ist, bei Nutzung der App derart unverhältnismäßig überwacht zu werden. Diese Maßnahme ist das Ergebnis einer Entwicklung, die sich bereits in der gesamten vorherigen Saison abgezeichnet hat, in der Fußballfans unverhältnismäßig überwacht und kriminalisiert wurden. Bestehende Probleme bei der An- und Abreise mit dem ÖPNV, von denen Fans während der EM immer wieder berichten, konnten wiederum durch dieses Tracking überhaupt nicht gelöst werden und sind somit kein Argument für die App.

Der Dachverband der Fanhilfen hat schon im Vorfeld der EM 2024 ganz klar vor diesen Auswüchsen der Überwachung gewarnt. Gegenüber anderen Menschen nahezu unvorstellbare Überwachungsmaßnahmen halten bei Fußballfans auch anlässlich der EM weiter an – zum einen durch populistische Forderungen nach lebenslangen Stadionverboten und Schnellgerichten in den Stadien und zum anderen durch die personelle sowie auch materielle Aufrüstung der Polizei. Die Datenübertragung zwischen Uefa und Polizei reiht sich hier nahtlos in eine Überwachungsorgie gegen Fußballfans ein.

Die Befürchtungen der Fanhilfen: Diese neue Überwachungstechniken werden nach der EM nicht eingestellt, sondern auch im Ligaalltag eingesetzt werden. Als Dachverband der Fanhilfen fordern wir den DFB sowie Politik in Bund und Ländern auf, die zunehmende Überwachung von Fans umgehend zu stoppen. Die wichtigsten Sofortmaßnahmen sind jetzt:

  • Eine Klarstellung seitens des DFB und der Turnierleitung der EM zur andauernden Kriminalisierung von Fußballfans.
  • Ein Bekenntnis dazu, dass es zu keinem ähnlich gelagerten App-Zwang bei Liga- und Pokalspielen von DFL und DFB kommen wird.
  • Ein Runder Tisch „Polizeigewalt“, initiiert von der Bundesinnenministerin, unter Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen sowie polizeikritischen Wissenschaftlern.

Zum Beitrag des BR

Saison der Polizeigewalt – 24 Fälle dokumentiert – Sofortmaßnahmen gefordert

Die zu Ende gehende Fußballsaison 2023/2024 war geprägt von zahlreichen Übergriffen und überzogenen Einsätzen der Polizei gegen Fußballfans. Der Dachverband der Fanhilfen e. V. hat diese Vorfälle erstmalig zentral dokumentiert und in seinem diesjährigen Saisonbericht zusammengefasst.

Dazu erläutert Linda Röttig, Mitglied im Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen: “Selten zuvor gab es in einer Saison eine derart große Zahl von überzogenen Einsätzen der Polizei gegen Fußballfans. Aber nicht nur die Anzahl, sondern auch die vielfach erschreckende Brutalität, mit der die Einheiten wahllos gegen Fans vorgegangen sind, stellt ein trauriges Novum dar. Nach unseren Erkenntnissen kam es bei mindestens 24 Spielen der vergangenen Saison zu erheblichen Grenzüberschreitungen durch die Polizei. Hier ist ein klarer Zusammenhang mit der bevorstehenden EM zu sehen. Die Polizei hat den Ligaalltag genutzt, um nicht nur Fans ganz bewusst einzuschüchtern, sondern auch um Einsatztaktiken und gezielte Aktionen für das Turnier zu erproben. Fußballfans wurden somit ganz gezielt zu Versuchskaninchen gemacht.”

Die aufgelisteten Vorfälle wurden durch Fanhilfen in den oberen vier Ligen dokumentiert und ausgewertet. Als Dachverband der Fanhilfen fordern wir den DFB sowie Politik in Bund und Ländern umgehend auf, Maßnahmen einzuleiten, damit die anstehende Europameisterschaft und darauffolgende Saison nicht zu einem Albtraum für aktive Fußballfans in Deutschland werden. Die wichtigsten Sofortmaßnahmen sind jetzt:

  • Eine Klarstellung seitens des DFB und der der Turnierleitung der EM zur andauernden Vermischung von Fußballfans und Terroristen.
  • Ein flächendeckendes Pfefferspray-Verbot für die Polizei in allen deutschen Fußballstadien.
  • Ein Runder Tisch “Polizeigewalt”, initiiert von der Bundesinnenministerin, unter Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen sowie polizeikritischen Wissenschaftlern.

“Auch die einzelnen Vereine müssen eindeutig Farbe bekennen und sich mit allen Mitteln dagegen zur Wehr setzen, dass ihre Fans von der Polizei derart drangsaliert werden. Die Vereine müssen ihre Stimme erheben, um die anhaltende Repressionswelle gegen aktive Fans zu stoppen”, so Linda Röttig abschließend.

Einträge in der Datei “Gewalttäter Sport” gehen nur langsam zurück – Bundesregierung muss ihre Versprechen einlösen

Die umstrittene Datei “Gewalttäter Sport” war vor kurzem mal wieder Thema im Bundestag. Die Bundesregierung verschleppt die versprochene Reform dieser vielfach kritisierten Datei weiter. Der Dachverband der Fanhilfen fordert die endgültige Abschaffung der Datei.

Diese Art von Datensammlungen über Fußballfans greifen tief in die Privatsphäre der Fans ein, weil sie umfangreiche Informationen über Fans speichern, ohne einheitliche und transparente Speicher- und Löschfristen sowie Datenschutzstandards vorweisen zu können. Hier ist die Bundesregierung in der Bringschuld. Sie hat zu Regierungsantritt versprochen, die Datei “Gewalttäter Sport” zu reformieren. Der Dachverband der Fanhilfen fordert noch weitreichendere Maßnahmen: Die Datensammlung muss umgehend gestoppt, alle gespeicherten Personen vollumfänglich informiert und die Datei anschließend vollständig aufgelöst werden. Als Grund dafür wird der rechtswidrige Umgang mit dieser Datei genannt. Es reicht ein Anfangsverdacht eines einzelnen Polizisten im Rahmen einer einfachen Personalienkontrolle, um dort eingetragen zu werden. Laut dem WDR-Magazin “Sport Inside” sind mehr als ein Viertel der in der Datei gespeicherten Fans gar keine Gewalttäter. Die Einträge sind von 5.712 (Stand 08.04.2023) auf 5.644 Personen (Stand 15.04.2024) leicht zurückgegangen. Dies wurde kürzliche durch eine Anfrage im Bundestag öffentlich.

Linda Röttig, Vorstand im Dachverband der Fanhilfen, betont: “Dass die Einträge tendenziell weniger werden, ist ein richtiger Schritt, aber er wird viel zu langsam vollzogen. Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert seit Langem das in der Polizei dominierende Feindbild “Fußballfan”. Die polizeieigenen Statistiken und selbst die umstrittene Datei “Gewalttäter Sport” zeichnen ein genau gegensätzliches Bild: Die Zahlen an Verletzten und Straftaten in den Stadien sind seit Jahren rückläufig. Diese Entwicklung muss sich endlich auch in der alltäglichen Praxis der Polizei an den Spieltag widerspiegeln. Der Dachverband fordert mehr Abrüstung und Kommunikation der Polizei statt Eskalation und zunehmende Repression gegen Fans.”