Bundesverfassungsgericht erklärt Rechtsgrundlagen für Datei „Gewalttäter Sport“ für verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat heute wesentliche Vorschriften im BKA-Gesetz zur Sammlung von Personendaten im polizeilichen Informationsverbund für verfassungswidrig erklärt. Auf diesen gesetzlichen Regelungen beruhen auch die sogenannten Verbunddateien wie die Datei „Gewalttäter Sport“. Diese Datenbanken liegen beim Bundeskriminalamt, Zugriff haben jedoch alle Polizeidienststellen von Bund und Ländern.

Die nun für verfassungswidrig erklärten Regelungen erlaubten es der Polizei, sensible personenbezogene Daten bereits aufgrund vager Anhaltspunkte in weitem Umfang zu bevorraten und ohne weitere sachliche und zeitliche Grenzen zu nutzen. Fußballfans können bisher schon für viele Jahre in der Datei „Gewalttäter Sport“ landen, nur weil ihnen beispielweise irgendein Bagatelldelikt vorgeworfen wird, selbst wenn das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurde. Aufgrund der so bevorrateten Daten drohen ihnen dennoch polizeiliche Anschlussmaßnahmen wie unangenehme Befragungen, Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen oder gar Freiheitsentzug. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun aufgrund der von der Gesellschaft für Freiheitsrechte eingereichten Verfassungsbeschwerde unter anderem, dass es nicht ausreichen kann, Beschuldigter irgendeiner geringfügigen Straftat gewesen zu sein, um in Polizeidatenbanken wie der Datei „Gewalttäter Sport“ geführt zu werden. Es fehle an einer hinreichend normierten Speicherungsschwelle und den gebotenen Vorgaben zur Speicherdauer.

Eine der fünf Beschwerdeführerinnen ist Stephanie Dilba, Mitglied im Ehrenrat von 1860 München und seit langem in verschiedenen Faninitiativen aktiv. Sie wurde lange Zeit von der bayerischen Polizei in einer Datenbank gespeichert, ohne sich jemals strafbar gemacht zu haben, und zeigt sich nun erleichtert: „Fußballfans wie ich werden nach diesem wichtigen Urteil hoffentlich nicht mehr so leicht in einer Polizeidatenbank landen. Das hat mich belastet und stigmatisiert – bei jeder Polizeikontrolle hatte ich Herzklopfen.“

Für Wilko Zicht aus dem Vorstand der Grün-Weißen Hilfe Bremen steht dieser Fall sinnbildlich für das, was mit der Datei „Gewalttäter Sport“ falsch läuft: „Aus fragwürdigen Anlässen werden Fans als angebliche Gewalttäter abgespeichert und müssen dann schwerwiegende Konsequenzen fürchten. Dabei wissen viele Fans nicht einmal, dass sie rechtswidrig in der BKA-Datei gespeichert sind, und können sich daher auch nicht dagegen wehren. Daher muss die Polizei endlich bundesweit verpflichtet werden, die betroffenen Personen zu informieren, wie es in Bremen bereits der Fall ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss außerdem dazu führen, dass der Polizei für die Speicherung und die Nutzung von Informationen klare gesetzliche Grenzen gezogen werden, die dann auch tatsächlich eingehalten werden. Dies gilt umso mehr, als die Polizei sich derzeit darauf vorbereitet, Daten künftig nicht mehr in getrennten Dateien zu speichern, sondern in einer großen gemeinsamen Datenplattform von Bund und Ländern zusammenzuführen. Vor diesem Hintergrund ist auch die im aktuellen Sicherheitspaket der Bundesregierung vorgesehene automatisierte Analyse des polizeilichen Datenbestandes mit Hilfe von Data Mining und KI-gestützten Auswertungsmethoden erst recht kritisch zu sehen.“

Linda Röttig, Vorstand im Dachverband der Fanhilfen, erinnert daran, dass die Bundesregierung schon im Koalitionsvertrag versprochen hatte, die Datei „Gewalttäter Sport“ zu reformieren: „Aufgrund des heutigen Urteils muss die Bundesregierung nun endlich ihr Versprechen einlösen. Die BKA-Datenbanken sind unrechtmäßig und müssen sofort eingestellt werden. Das haben wir als Fanhilfen schon lange gefordert. Diese umfangreiche Datensammlung ist nicht datenschutzkonform, mit dem heutigen Urteil erwiesen rechtswidrig und dringt tief in die Privatsphäre von Fußballfans ein. Umfang und Löschfristen der Daten sind völlig unklar. Die Praxis der massenweisen Datensammlung muss sofort gestoppt werden.“

Ein weiterer Beschwerdeführer ist Werder-Fan und Mitglied der Grün-Weiße Hilfe in Bremen. Er war im Jahr 2010 als Tatverdächtiger einer Sachbeschädigung in der Datei „Gewalttäter Sport“ gelandet, nachdem jemand aus einem Werder-Fanbus bei einem Zwischenhalt in Göttingen mit einem Edding ein Graffiti hinterlassen haben soll. Die niedersächsische Polizei stoppte die Busse, nahm die Personalien aller mitfahrenden Werder-Fans auf und speicherte sie als Gewalttäter in der BKA-Datei ab. Für den Beschwerdeführer hatte dies zur Konsequenz, dass ihm einige Monate auf dem Weg zum Champions-League-Spiel in Enschede von der Bundespolizei die Ausreise untersagt wurde. Er klagte hiergegen beim Verwaltungsrecht Köln, das ihm zwei Jahre später Recht gab und die Ausreiseuntersagung für rechtswidrig erklärte.